Sonntag, 12. Juni 2016

Ich lebe gern (Predigt) hl

Bibelwort für diesen Sonntag: Psalm 103, 1-5
Lobe den HERRN, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen! Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat: der dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen, der dein Leben vom Verderben erlöst, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit, der deinen Mund fröhlich macht, und du wieder jung wirst wie ein Adler.

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,

ich habe jetzt zwei Wünsche. Zum einen wünsche ich mir, dass jeder von euch nachher etwas größer aus der Kirche wieder hinausgeht als er reingekommen ist, mit erhobenem Kopf und aufrechtem Gang, weil ihn der Gottesdienst innerlich aufgerichtet hat. Und der zweite Wunsch hat mit dem ersten zu tun. Ich möchte von jedem von euch eine Antwort auf eine ganz persönliche Frage: Lebst du gern?
Lebst du gern, auch wenn in deinem Leben ein paar Dinge sind, die dir nicht gefallen. Lebst du trotzdem gern?
Und so bitte ich, dass jeder, der gern lebt, jetzt einmal die Hand hebt. Das ist ein starkes Bild, dass jetzt, soweit ich sehen kann, alle ohne Ausnahme die Hand heben. Vielen Dank.
Du warst schon oft in der Kirche, im Gottesdienst, und hast viel von dem, was hier gesagt und getan wurde, wieder vergessen. Das ist ganz normal. Aber diesen Augenblick jetzt sollst du bis zu deinem Lebensende nicht mehr vergessen. Immer wieder, besonders wenn es dir nicht gut geht, sollst du daran denken, dass du einmal in der Kirche von dir selbst gesagt hast: „Ich lebe gern“. Und das hast du vor allen anderen Leuten hier gezeigt, indem du die Hand gehoben hast. Und du hast es Gott gezeigt. Hast ihm mit deinem Bekenntnis „Ich lebe gern“ eine Freude gemacht. Und ich habe das auch getan und will das nicht wieder vergessen.
Ist das so wichtig? Ich meine schon. Denn dieses Bekenntnis stärkt deine Lebensfreude, macht dir bewusst, was du liebst und schätzt. Es genügt schon, wenn du dir das immer wieder mal klar machst. Und schon hellt sich deine Stimmung auf, sieht die Welt freundlicher aus. Auch in diesem Augenblick erlebst du ein positives Gefühl, da du deine Hand gehoben und so gezeigt hast: Ja, ich lebe gern.
Wenn es dir einmal nicht gut geht, bewahrt dich dieses Bekenntnis davor, in Selbstmitleid zu versinken und dich selbst aufzugeben. Vielleicht kommt einmal die Stunde, in der du auch gerne sterben wirst, weil du alt und hinfällig und krank genug geworden bist, sodass dir das Leben keine Freude mehr macht. Aber bis dahin hast du noch Zeit, viele Stunden, Tage, Monate und hoffentlich auch Jahre, in denen du gern leben können sollst.
Denn genau dazu hat Gott dich ja geschaffen, dass du gern lebst und dich in und an der Welt freuen kannst, die er gemacht hat. Aber weißt du auch, warum du gern lebst? Ich finde, das wäre schon gut, wenn du das wüsstest und es dir wieder in Erinnerung rufen könntest, wenn dir einmal das Leben keine Freude macht. Darum rege ich jetzt an, dass du dir daheim, vielleicht heute noch, Zeit nimmst und eine Liste beginnst auf der all die Dinge stehen, weswegen du gerne lebst. Du kannst diese Liste ja im Laufe der nächsten Tage und Wochen ergänzen. Ich bin überzeugt, dass da mit der Zeit ganz schön viel Lebensfreude zusammenkommt. Und dann hebe diese Liste in deinem Nachttischkästchen auf und hole sie immer wieder mal hervor besonders dann, wenn dir das Leben keine Freude macht.
Und was soll auf diese Liste stehen?
Ich glaube, dass es oft gar nicht die großen spektakulären Dinge sind, weswegen wir gern leben, sondern die eher unscheinbaren kleinen Sachen, an denen wir Freude haben. Und dazu gehören zuerst einmal die Erinnerungen an das, was Gott dir bisher Gutes getan hat, wie es König David in seinem Psalm sagt
All die schönen Erlebnisse und Freuden, die du hattest, sie sind doch nicht einfach weg, sie sind ein Teil von dir und vielleicht ganz tief in dir versteckt. Aber sie sind da und du kannst sie hervorholen.
Ich nenne mal ein paar Sachen aus meiner Kindheit. Vielleicht erkennst du dich darin wieder. Um diese Jahreszeit waren es damals die Heuböcke auf den Wiesen, in denen man sich wunderbar verstecken konnte, in denen es so herrlich duftete, auf denen man verbotenerweise auch herumklettern konnte, weil‘s einfach Spaß gemacht hat. Ich erinnere mich an die Maikäfer im Schuhkarton, die ich stolz mit in die Schule genommen habe, wo sie dann durchs Klassenzimmer gebrummt sind. Oder an die Indianer- und Cowboyspiele mit Freunden, ans Kästchenhüpfen im Pausenhof, an meine Lieblingskletterbäume oder daran, wie gut die Stallhasen gerochen haben, wenn ich ihren Stall wieder sauber gemacht hatte. Das alles und viel mehr steckt in mir wie die Jahresringe eines Baumes. Und so könnte ich jetzt weitergehen in die Jugendzeit und in die Zeit als sich ein junger Erwachsener war und schließlich auf dem Höhepunkt meines Lebens. Da kommt mir die erste Liebe in den Sinn, die bestandenen Prüfungen, mein erstes Auto, die Geburt der Kinder, Urlaub am Meer, gute Erfahrungen im Beruf usw.
Und dazu gehören auch die schönen Feste daheim und in der Kirche, die Taufen, Konfirmationen, Trauungen, die Erntedank-, Weihnachts- und Ostergottesdienste. Alles wertvolle Erinnerungen, die ich nicht missen möchte.
Wenn ich an all das denke, kann ich aus ganzem Herzen in das Psalmwort einstimmen und mit David sagen: »Lobe den Herrn meine Seele und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.« Dieses Erinnern an das Gute, das Gott dir getan hat, ist eine wichtige Quelle, aus der du immer wieder neue Kraft schöpfen kannst.
Und wie ist es jetzt? Gibt es jetzt auch etwas, wofür du Gott loben kannst? Tut er dir auch jetzt etwas Gutes, wofür du ihm danken kannst?
Vor ein paar Tagen habe ich vor dem Schlafengehen noch einen Spaziergang gemacht, nicht, weil ich besonders Lust darauf gehabt hätte, sondern weil mir die Vernunft sagte, dass ich mich noch ein bisschen bewegen solle. Doch mit einem Mal wurde aus der Pflicht Neigung mehr noch, stellte sich ein Glücksempfinden ein. Es war das letzte Licht des Tages, das sich spät abends über die Altmühlwiesen ergoss. Im Westen kleidete sich der Himmel in sein schönstes Rot. Nach dem Regen am Nachmittag lag eine wunderbare Luft über dem Tal, die Wiesen dufteten und die friedvolle Abendstimmung legte sich auf meine Seele wie ein weiches Tuch. Ich hatte Zeit zum Nachdenken. Wie von selbst begann es in mir zu beten, weil ich von Dankbarkeit erfüllt war und mich meines Lebens freute. Und ich dachte mir, was für ein Geschenk, dass du glauben kannst, dass diese Welt für dich Gottes Welt ist und du mittendrin als sein Geschöpf leben darfst, von ihm behütet und gesegnet.
Ja, da war es mir wieder klar, wie gern ich lebe. Und ich nehme an, dass es dir nicht viel anders geht. Jeder von uns möchte wohl noch ein paar Jahre auf der Welt bleiben trotz mancher Widrigkeiten. Jeder von uns weiß, dass die Zeit abläuft, egal wie alt man ist. Aber mit jedem Tag wird der verbleibende Rest nur umso kostbarer.

Jetzt, in der Kirche, machen wir uns das wieder bewusst. Jetzt, im Gottesdienst, können wir, kannst du und ich Gott für dein Leben danken. Jetzt, in diesem Augenblick können wir gemeinsam sagen: »Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat. Lobe den Herrn meine Seele und nimm wahr, was Gott dir jetzt Gutes tut. Der dir hier Zeit schenkt, damit du über dein Leben nachdenken kannst. Der dein Herz mit Dankbarkeit füllt für allen Segen, den er dir geschenkt hat und vielleicht auch für manch schmerzliches Erlebnis, das auch zu dir gehört und das dich geformt und stärker gemacht hat.

Jetzt können wir sagen: »Lobe den Herrn, meine Seele«, da wir die brennenden Kerzen auf dem Altar sehen, Zeichen seiner Gegenwart und Jesu Kreuz, Zeichen seiner Liebe; da wir den Geruch des Kirchenraumes riechen, der uns seit langem vertraut ist und die Orgelklänge hören, die die altbekannten Lieder begleiten. Jetzt können wir dankbar sein für all das und für Gottes Wort, für das Brot gegen die Schuld und den Wein der Versöhnung im Abendmahl, das wir nachher feiern; auch dafür dass Gott uns um Jesu willen vergibt und neue Kraft schenkt für diesen Tag und das, was in der neuen Woche auf uns wartet.

Und auch das können wir sagen: Lobe den Herrn, meine Seele, nicht nur für das, was er dir Gutes getan hat, nicht nur für das, was er dir jetzt in diesem Augenblick Gutes tut. Sondern vertraue darauf, dass er dir auch künftig Gutes tun wird, weil du zu ihm gehörst und bei ihm bleibst jetzt und in Ewigkeit. Ja, Herr, schau her, ich lebe gern (Hand heben). Danke.

Hans Löhr 

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