Mittwoch, 6. Mai 2015

verlassen, verstoßen und aufgenommen hl

Losung: Mein Vater und meine Mutter verlassen mich, aber der HERR nimmt mich auf. Psalm 27,10

Lehrtext: Christus spricht: Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. Matthäus 28,20

Liebe Leserin, lieber Leser,

es war im Vorfrühling 2010 als mich mein Vater und meine Mutter innerhalb von sechs Wochen verlassen hatten. Gut, beide waren hochbetagt. Ich war innerlich darauf eingestellt, und so war es auch keine Katastrophe. Und trotzdem, es ist ein tiefer Einschnitt im Leben, wenn dich Vater und Mutter für immer verlassen, auch wenn du selbst längst erwachsen bist und auf eigenen Füßen stehst. Bis diese traurige Nachricht nicht nur im Kopf, sondern auch in meiner Seele angekommen war, hatte es einige Zeit gedauert. Bis dahin meinte ich, sie müssten doch noch da und für mich erreichbar sein. Eine Art Schlusspunkt war dann, als ich nach ein paar Monaten noch einmal ihre Telefonnummer gewählt habe und dann die Ansage zu hören bekam: »Kein Anschluss unter dieser Nummer.«
Den Psalm 27 mit dem heutigen Losungswort habe ich oft bei Trauerfeiern vorgelesen. Auch wenn es nichts Außergewöhnliches ist, dass Vater und Mutter vor einem gehen müssen, ist es doch hilfreich, wenn den Angehörigen das noch einmal von außen und mit der Autorität der Bibel gesagt wird. Es hilft, den Verlust nicht nur hinzunehmen, sondern auch anzunehmen. Und vielleicht tröstet es sie auch, wenn sie hören, dass Gott, dass Christus bleibt (Lehrtext) und sie in ihrem Schmerz bei sich aufnimmt.
Nun aber kann das heutige Losungswort auch noch anders übersetzt und verstanden werden. Dann heißt es: »Wenn Vater und Mutter mich verstoßen, nimmst du, Herr, mich doch auf.« Leider kommt so etwas ja nicht nur bei Hänsel und Gretel vor, sondern oft genug auch in der Wirklichkeit. Das Verhältnis zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern ist manchmal so zerrüttet, dass es keine Gemeinschaft mehr gibt. Das schmerzt wohl noch mehr als der Tod.
Ich weiß von einem Mann, der es nicht mehr übers Herz brachte, seinen sterbenden Vater zu besuchen. Zu viel war zwischen beiden kaputt gegangen. Aber er hatte sich überwunden, ihm noch einen Brief zu schreiben. Was genau darin stand, weiß ich nicht. Aber so viel ich weiß, war er in einem versöhnlichen Ton gehalten. Das ist besser als nichts. Das tut nicht nur dem Sterbenden gut, sondern auch dem, der zurückbleibt. Doch wenn das alles nicht mehr geht, dann bleibt immer noch Gott, dem ich alles Versagen, alle Schuld, alle Verzweiflung über den Bruch sagen und den ich bitten kann, mir zu vergeben und meine verletzte Seele zu heilen ‚wie auch ich vergebe meinem Schuldiger‘.

Gebet: Herr, du bist da, alle Tage, auch an den bösen, wenn es mir mit mir selbst und mit anderen nicht gut geht. Du bist auch dann da, wenn ich versage und schuldig werde. Du bist auch dann da, wenn ich mich von aller Welt verlassen fühle. Du verlässt mich nicht. Du bleibst, du öffnest deine Arme für mich und nimmst mich auf. Amen

Herzliche Grüße


Ihr / dein Hans Löhr 

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