Sonntag, 25. Januar 2015

Abstand gewinnen (Predigt) hl

Predigt von Hans Löhr am letzten Sonntag nach Epiphanias
Predigttext: Matthäus 17, 1-9
Die Verklärung Jesu
Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg. Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm. Petrus aber fing an und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören! Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und erschraken sehr. Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. Und als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.

Liebe Freunde,

was ihr da soeben aus der Bibel gehört habt, war für die drei Jünger Petrus, Jakobus und Johannes ein Gipfelerlebnis des Glaubens. So etwas kommt auch heute vor, dass du etwas erlebst, von dem du sagen kannst: Da war jetzt Gott da oder sein Schutzengel. Da habe ich seine Nähe und Hilfe unmittelbar erfahren.
Manchmal ist das bei der Geburt eines Kindes so, dass dich das Erlebnis überwältigt und du Gottes Macht unmittelbar spürst. Oder wenn du einen Unfall gut überstanden hast, wenn du aus einer schweren Krankheit wieder genesen bist oder eine schon zerbrochen geglaubte Beziehung zu deinen Ehepartner oder Kind doch noch heil wurde. Bei alledem kannst du Gott und seine Hilfe erfahren. Manchmal hast du aber auch ganz plötzlich ein solches Gipfelerlebnis des Glaubens, zum Beispiel bei einem Spaziergang in der Natur, bei einem Sonnenuntergang am Meer oder bei einem Lied. Dann kann es sein, dass du Gänsehaut bekommst oder deine Augen feucht werden. Wer so Gottes Nähe erfährt, kann oft noch jahrelang davon zehren.
Aber du kannst nicht jedem davon erzählen, weil es viele nicht verstehen können. Nicht zuletzt deshalb hat Jesus seinen drei Jüngern gesagt, dass sie von dem, was sie da auf dem Berg der Verklärung erlebt hatten, erst nach seiner Auferstehung berichten sollten.
Wir heute lesen davon in der Bibel und wissen, dass die Jünger damals auf dem Berg ein Gotteserlebnis hatten, das sie buchstäblich umwarf. Und dabei hörten sie den entscheidenden Satz: »Das ist mein geliebter Sohn, auf den sollt ihr hören!«
Heute, da wir diese Geschichte hören, wird sie auch für uns zur Gegenwart. Heute stehen wir mit den Jüngern auf dem Berg. Heute hören wir Gottes Stimme und denselben Satz wie damals. Jetzt geht es nicht mehr um Petrus, Jakobus und Johannes. Jetzt geht es um dich und um mich. Jetzt geht es um die Frage: ‚Glaube ich das, dass Jesus Gottes Sohn ist? Will ich das, auf ihn hören?‘
Ich kann für euch so ein Gipfelerlebnis des Glaubens nicht schaffen. Das ist ganz und gar die persönliche Erfahrung eines jeden einzelnen von uns. Aber ich kann von Voraussetzungen sprechen, die ein solches Erlebnis ermöglichen. Und dazu gehört oft Distanz, der Abstand zum Alltag und seinen gewöhnlichen Herausforderungen.
Jesus ist damals mit seinen Jüngern auf den Berg Tabor gestiegen. Mit jedem Schritt zum Gipfel ließen sie das Alltagsleben weiter hinter sich. Die Menschenwelt mit ihrer Hektik und Sorgen, mit Lachen und Weinen, mit Lügen und Streit lag unter ihnen. Oben auf dem Gipfel waren sie allein. Sie hörten nur den Wind und ab und zu den Schrei eines Vogels.
Reinhard Mey hatte das in unserer Zeit in dem Lied „Über den Wolken“ zum Ausdruck gebracht, wenn er singt:
Ȇber den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein
Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man,
Blieben darunter verborgen und dann
Würde was uns groß und wichtig erscheint plötzlich nichtig und klein«
Vom Flugzeug aus gesehen sind die Häuser und Straßen, wo wir sonst leben und arbeiten, winzig. Und so ähnlich war es auch auf dem Berg Tabor. Von dort oben sah man weit unten in der Ebene die Dörfer und Höfe, wo die Menschen sich durch den Alltag kämpfen, wo sie aber auch Glück und Freude erleben. Und während die Jünger vom Berggipfel hinunter schauten, hörten sie mit einem Mal die Stimme Gottes aus der Wolke.
Jetzt frage ich dich: Wo ist dein Berg Tabor, auf dem du Abstand und Distanz hast zu der Welt, die dich sonst umgibt und vereinnahmt? Letzten Mittwoch besuchte ich mit einem Freund die uralte romanische Klosterkirche von Auhausen bei Oettingen. Man geht erst durch den Friedhof, der um die Kirche herum liegt und auf dem die Menschen von Auhausen und den umliegenden Dörfern seit Jahrhunderten bestattet werden. Als wir dann in die Kirche kamen, war es komplett still. Kein Motorengeräusch, keine Stimmen, nur Stille. Was für ein kostbares Geschenk! Mit einem Mal bist du aus dem lauten Alltag herausgetreten und hast Abstand. Jetzt kannst du nachdenken, jetzt kann Gott zu dir sprechen, jetzt kannst du ein Glaubenserlebnis haben.
Wo ist es für dich so still, dass du die Chance hast, Gott zu hören? Du musst dazu nicht gleich auf einen Berg steigen, obwohl das auch heute noch gut ist. Bis zum Hesselberg sind es 20 Minuten mit dem Auto. Und hoch zum Gipfel und wieder runter eine gute Stunde. Aber was für eine kostbare Zeit kann das sein, wenn du da allein hochgehst, von oben ins Tal schaust und über dein Leben und über Gott nachdenkst. Vielleicht bist du dann, wenn du wieder unten bist, ein anderer als der, der du vorher warst.
Aber es wäre auch schon gut, wenn du dich bei einem kurzen Spaziergang für ein paar Minuten aus deinem sonstigen Leben herausziehst, dich und deinen Tagesablauf unterbrichst und Distanz gewinnst. Du findest aber auch Abstand, wenn du mit deinem Gott im Gebet allein bist und manchmal, wenn du dein Haus verlässt und hierher in die Kirche zum Gottesdienst kommst. Da bist du zwar nicht allein, aber es klingelt kein Handy, klopft niemand an die Tür, will niemand was von dir. Da kannst du die Nähe Gottes suchen, ihn loben und preisen, mit ihm reden und von ihm hören. Es wäre nicht das erste Mal, dass Menschen anders aus der Kirche wieder hinausgehen als sie hinein gegangen sind.
Ich will euch ein Gipfelerlebnis des Glaubens erzählen, das der Geigenbauer Martin Schleske gehabt hat. Er schreibt in seinem Buch ‚Der Klang‘: »Vor einiger Zeit war ich für drei stille Tage in der Propstei Sankt Gerold im Großen Walsertal. Es war ein warmer Maitag und ich ging den kurzen, steilen Fußweg zum Klosterweiher hinab als ich aufsah zu den Bergen, spürte ich die Frühlingswärme der Sonne auf meinem Gesicht. Ich hörte den Bach und sah das in der Sonne erleuchtete junge Grün der Baumgruppe vor meinen Augen. Da sprach Gott mir ein Wort ins Herz: ‚Sieh es dir an! Sieh hin, spüre es und höre es: Das alles habe ich für dich geschaffen! Nur dich – dich selbst habe ich nicht für dich geschaffen!‘« - Aber, so frage ich jetzt, wofür hat Gott Martin Schleske dann geschaffen und wofür dich? Weißt du es?
Die drei Jünger wären am liebsten nicht mehr vom Berg herunter gestiegen. So überwältigend, so großartig war das, was sie erlebt hatten, dass Petrus vorschlug, da oben gleich Hütten zu bauen. Am liebsten wären sie da oben mit Jesus, Elia und Mose geblieben. Aber dafür hatte Gott sie nicht geschaffen. Sie sollten nicht eigensüchtig ihr Gipfelerlebnis des Glaubens für sich haben und festhalten wie eine Beute. Deshalb ging Jesus auf ihren Vorschlag nicht ein. Sondern das, was die drei auf dem Gipfel erlebt hatten, das sollten sie hinunter ins Tal tragen, in den Alltag, zu den Menschen mit ihren Freuden und Leiden, zu den Jungen und Alten, zu den Kranken und Gesunden, zu den Reichen und Armen. Dort sollte und musste sich ihr Glaube bewähren. Dort unten würde sich zeigen, ob sie Gottes Stimme tatsächlich gehört und sich zu Herzen genommen haben, als er sagte: »Ihn, meinen Sohn, den sollt ihr hören!«
Und das hatte auch Martin Schleske verstanden: Ja, Gott hatte all das Schöne, das der Geigenbauer sah, für ihn geschaffen. Aber Martin Schleske wurde nicht für sich selbst geschaffen, sondern für die Menschen, mit denen er zusammenlebte. Das gleiche gilt für uns. Gott hat auch für dich und für mich all das Schöne geschaffen, das wir sehen und erleben. Aber uns selbst, dich und mich, hat er für die Menschen geschaffen, mit denen wir zusammen sind und arbeiten, mit denen wir uns gut verstehen und auch für die, mit denen wir uns nicht so gut verstehen. Er hat uns geschaffen für unsere deutschen Nachbarn, aber auch für unsere tansanischen Waisenkinder.

Und darum sage ich: Was für ein Gipfelerlebnis des Glaubens du auch immer gehabt hast oder haben wirst, eins bleibt gleich. Höre auf den, in dem Gott zu dir kommt. Höre auf Jesus. Er hat sein Leben nicht für sich behalten, sondern hat es eingesetzt für dich und mich. Er ist nicht in Gottes Herrlichkeit geblieben, sondern auf die Erde gekommen, wo ihm übel mitgespielt wurde. Er hat in den Alltag der Menschen Gottes Liebe gebracht, war für andere da, für Kinder und Kranke, für Schuldige und Suchende. Und er ist zu dir und für dich gekommen hier und jetzt. Vielleicht hörst du das ja nicht nur. Vielleicht erlebst du das auch, dass Gott dir in Jesus ganz nahe kommt und du spürst: Ja, er ist da. Ja, du bist da, Herr. Was für ein schönes Gefühl, dass du mich begleitest, was auch immer geschieht. Amen

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