Sonntag, 14. Dezember 2014

Christen schauen nach unten hl

Predigt am 3. Advent von Hans Löhr.

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,

heute am dritten Advent predige ich über den biblischen Lehrtext dieses Sonntags. Da sagt Jesus im Johannesevangelium: »Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein
Anders gesagt und mit unseren Worten: Wo Jesus ist, da sollst auch du, da soll auch ich sein. Aber wo ist er? Wer ihn kennt, ahnt gleich, dass er sich nicht in den Komfortzonen dieser Welt aufhält. Du findest ihn nicht bei den Reichen und Mächtigen, bei den Schönen und Berühmten, sondern dort, wo er sich seinen Platz in dieser Welt ausgesucht hat. Wo könnte das sein? Im Vatikan beim Papst? Nein. Im Landeskirchenamt in München beim Landesbischof? Nein. In der Kirche (in Thann) oder im Pfarrhaus in Sommersdorf? Nein. Sein Platz ist bei denen, die ganz unten sind, die nicht genug zu essen haben, die auf der Flucht sind und eine Bleibe suchen. Sein Platz ist bei denen, die sich keinen Mantel leisten können, bei den Menschen in der Brauhausstraße in Ansbach, also im Gefängnis, und du findest ihn bei den Patienten im Krankenhaus und im Pflegeheim. Woher ich das weiß? Nun, vor 14 Tagen erst haben wir es in der biblischen Lesung hier im Gottesdienst gehört:
Wenn der Menschensohn in seiner ganzen Herrlichkeit kommt, dann wird er auf dem Thron Gottes sitzen und zu den Menschen an seiner rechten Seite sagen: 'Kommt her! Euch hat mein Vater gesegnet… Denn als ich hungrig war, habt ihr mir zu essen gegeben. Als ich Durst hatte, bekam ich von euch etwas zu trinken. Ich war ein Fremder bei euch, und ihr habt mich aufgenommen. Ich war nackt, ihr habt mir Kleidung gegeben. Ich war krank, und ihr habt mich besucht. Ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen… Denn was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr für mich getan!“ 

 Auge und Herz für ganz unten

Am Donnerstag vor acht Tagen haben wir auf dem Diakonie-Friedhof in Neuendettelsau den ehemaligen Pfarrer unserer Pfarrei, Johannes Meister, beerdigt. Er ist fast 88 Jahre alt geworden. Auf dem Weg zum Diakonie-Friedhof kommt man am Dialog-Hotel vorbei. Früher war es das sogenannte Sonnenheim, ein Internat für Mädchen.
Die 7 Werke der Barmherzigkeit
Wandfries am Dialog-Hotel
in Neuendettelsau
Als es vor etwa 60 Jahren gebaut wurde, hat man an der Fassade einen Bilderfries angebracht, der heute noch zu sehen ist. Ich bin damals als Kind oft vorbeigelaufen und habe mir die sieben Bilder angeschaut. So richtig verstanden habe ich sie aber nicht, bis sie mir jemand erklärt hat. Es sind Bilder von denen, die ganz unten sind und bei denen Jesus ist. Bilder von Menschen, denen man zu essen und zu trinken gibt, die fremd sind und denen man die Tür öffnet, die im Winter einen Mantel bekommen, die hinter Gittern sind, im Krankenbett liegen und im Sarg. Bis auf das letzte Bild sind sie eine Darstellung dessen, was Jesus gesagt hat: »Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr für mich getan!« Später hat man zu diesen Werken der Barmherzigkeit noch ein siebtes hinzugefügt, nämlich Tote begraben.
Um diese sieben Werke geht es nicht nur in der Diakonie, sondern auch bei uns. Jene Geschichte aus der Bibel und jene Bilder an der Wand in Neuendettelsau fragen mich: Wie ist das bei dir? Hast du ein Auge und ein Herz für solche Menschen, die ganz unten sind?
Ehrlich gesagt, mir fällt es gar nicht so leicht, anderen so entgegenzukommen, vor allem, wenn sie mir fremd sind. Auch in Tansania musste ich mir einen Ruck geben, um mich den Armen dort zuzuwenden. Und wenn jemand an der Pfarrhaustür klingelt und um eine finanzielle Unterstützung bittet, frage ich mich unwillkürlich, ob er es denn auch wirklich nötig hat. Auch die Flüchtlinge, die jetzt in unser Land, in unsere Dörfer kommen, sie sind erst einmal Fremde, die man kennen lernen und an die man sich gewöhnen muss. Das braucht seine Zeit. Und Tote bestatten – nun, das gehört nun mal zu meinem Beruf. Darauf brauche ich mir nichts einzubilden genauso wenig wie auf die Krankenbesuche.
Aber wo will ich denn Jesus sonst finden, wenn nicht da? Wenn er schon selbst sagt, dass er mir in den Menschen begegnet, die ganz unten sind, dann brauche ich ihn erst gar nicht bei denen zu suchen, die oben sind. Dann muss ich nach unten schauen. Ich bin froh, dass ich nicht zu denen gehöre, die ganz unten sind. Uns geht es im Sommersdorfer Pfarrhaus gut, und wenn wir uns mit den Menschen  vergleichen, die in den Bretterhütten in Kilanya leben, dann geht es uns hier sogar sehr gut. Und vielleicht ist es ja auch gar nicht mal so schlecht, dass wir nicht zu den Reichen in unserem Land gehören. Du musst schon eine starke Persönlichkeit sein, damit Reichtum dich nicht verbiegt und deinen Charakter beschädigt. Aber arm möchten wir auch nicht sein. Das müssen wir auch nicht. Jesus geht es nur darum, dass wir die Armen in der Nähe und in der Ferne nicht übersehen, sondern in ihnen unsere Menschenbrüder und Menschenschwestern erkennen, in denen er uns begegnet.

22 Milliarden Euro von Zuwanderern für unser Land

Gestern konnten wir den Medien entnehmen, wie in Vorra nördlich von Nürnberg Häuser für Flüchtlinge angezündet wurden bevor sie einziehen konnten. Und in Dresden gingen über 10.000 auf die Straße aus Angst vor den Muslimen. Ja, die Angst dieser Menschen muss man schon ernst nehmen. Aber man darf sie nicht durch unbedachtes Reden noch schüren. Erst vor 14 Tagen wurde die neueste Bertelsmann-Studie veröffentlicht, derzufolge wir in Deutschland von den Zuwanderern, also auch von den Flüchtlingen und Asylsuchenden, profitieren. Da heißt es, dass allein im Jahr 2012 die 6,6 Millionen Menschen ohne deutschen Pass 22 Milliarden Euro mehr an Steuern und Abgaben gezahlt haben als sie an Sozialleistungen bekommen haben. Und gerade weil die einheimische Bevölkerung in Deutschland immer älter wird, sind wir auf jüngere Zuwanderer aus anderen Ländern angewiesen. Schon jetzt könnten die meisten Krankenhäuser und Pflegeheime ohne diese Menschen ihren Betrieb einstellen. Wollen wir das? Darüber muss man reden und den Menschen so die Angst nehmen,  auch mit Fakten, die jeder nachprüfen kann. Denn die Fremden, die zu uns kommen, geben uns deutlich mehr, als sie nehmen. Und diese Fremden, was sind sie denn anderes, als Mitmenschen, die zur selben Zeit mit uns auf dieser Erde leben. Die ebenso von Gott geschaffen wurden wie wir. Für die Jesus ebenso am Kreuz gestorben ist wie für uns.

Jesus in Guantanamo

Das gilt auch für die Terrorverdächtigen, die die USA im Folterlager Guantanamo eingesperrt haben. In mir stieg eine Wolke der Wut auf, als ich vergangene Woche lesen musste, wie die wehrlosen Gefangenen von Amerikanern auf bestialische Art und Weise gequält worden sind, obwohl bei der Folter nichts herausgekommen ist. Mit oder ohne Ergebnis, Folter ist immer ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.  Es ist gut, dass es wiederum Amerikaner waren, die diese Verbrechen aufgedeckt haben. Es ist schlecht, dass die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung und die rechtsgerichtete Partei der Republikaner Folter nach wie vor gutheißt. Auch wenn es Muslime sind, die gefoltert werden, auch wenn sie in Terroranschläge verstrickt sein mögen, was oft gar nicht bewiesen ist, so gehören doch auch die in den Folterzellen zu den Geringsten der Brüder von Jesus. Er fragt nicht nach Religionszugehörigkeit oder Bekenntnis, wenn es darum geht, einem hilflosen Menschen beizustehen. Doch er sagt: ‚Was ihr christlichen, amerikanischen Soldaten den muslimischen Folteropfern angetan habt, das habt ihr mir angetan.‘
Erinnern wir uns noch einmal an das Bibelwort für diese Predigt: Jesus sagt: »Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein.« Ich weiß jetzt, wo Jesus zu finden ist. Und ich weiß auch, wo ich hingehöre, falls auch ich zu ihm gehören will. Ich gehöre an die Seite derer, die ganz unten sind, an die Seite der Geringsten seiner Brüder und Schwestern. Deshalb muss ich nicht Tag und Nacht mit ihnen zusammen sein, wie das zum Beispiel Schwester Teresa in Kalkutta getan hatte. Aber so viel habe ich schon kapiert, dass wenigstens mein Herz bei diesen Menschen sein soll und mit dem Herz meine Gebete und mit meinen Gebeten auch etwas von meiner Zeit, die ich für sie aufwände und manchmal auch ein bisschen was von meinem Geld.

Beschenkt mit Freude und Dankbarkeit

Aber ich bin auch froh, dass es nach wie vor Christen gibt, die sich den Bedürftigen besonders zuwenden, zum Beispiel Ärzte und Pflegende, die freiwillig und ohne Bezahlung für einige Wochen auf den Hospitalschiffen „Mercy Ships“ arbeiten, um dort den mittellosen Kranken in Afrika oder Asien zu helfen.
Und hier bei uns gehen manche zu den Flüchtlingen, um ihnen in ihrer schweren Lage in einem für sie fremden Land beizustehen. Aber es ist auch schon viel getan, wenn man jemanden im Pflegeheim besucht oder im Krankenhaus, auch wenn man nicht ihm verwandt ist.
Wenn du dich überwinden kannst und zu den Bedürftigen gehst, ihnen Zeit schenkst und ein Ohr, wirst du erfahren, dass sie dich reich machen. Das ist schon merkwürdig, wie die, die wenig bis nichts haben, dich mit ihrer Freude und Dankbarkeit beschenken können.
Vierzehn Tage noch bis Weihnachten. Werde ich, werden wir Jesus bis dahin gefunden haben? Und wenn wir es immer noch nicht wissen, wo er ist, dann lasst uns mit den Hirten nach Bethlehem gehen, in einen stinkenden Stall und dort im Dreck von Ochs und Esel auf die Knie gehen und ein kleines Kind in einem Futtertrog anbeten. Da, ganz unten, tut sich für uns der Himmel auf. Und wenn wir selbst einmal ganz unten sind, dann ist das Kind in der Krippe und der Mann am Kreuz bei uns und mit ihm die Menschen, die ihm dienen. Amen

p.s. Das Bild ist ein Wandfries am Dialoghotel (früher „Sonnenheim“) in Neuendettelsau: Die sieben Werke der Barmherzigkeit – Hungernde speisen, Dürstende tränken, Fremde beherbergen, Nackte kleiden, Gefangene besuchen, Kranke pflegen, Tote bestatten.

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