Sonntag, 16. September 2012

Mirco - Der Glaube trägt! hl

Lichtblickpredigt von Hans Löhr 
Wie Mircos Eltern die Katastrophe überlebt haben

Liebe Freunde,

auch heute Morgen sind wieder Menschen unter uns, die gerade eine schwere Zeit durchmachen. Für sie ist diese Predigt in erster Linie gedacht. Doch das Thema „Der Glaube trägt” geht uns alle an. Die meisten von uns waren schon in Situationen, wo sie Hilfe von außen und Kraft von oben gebraucht haben. Und wahrscheinlich werden wir alle auch künftig in eine Lage kommen, wo dies nötig ist. Da ist es dann gut zu wissen, dass der Glaube trägt.
Am 7. September war in der Fränkischen Landeszeitung ein Artikel mit der Überschrift „Vergeben und weiterleben – wie Mircos Eltern damit fertig werden, dass ihr Sohn nie mehr wieder kommt.” Anlass war das neu erschienene Buch „Mirco”, in welchem Sandra und Reinhard Schlitter ihre Erfahrungen mit dem Verbrechen an ihrem Sohn verarbeitet haben. Das Ehepaar hatte vier Kinder: Alexander, Julia, Mirco und Judith. Am 03.09.2010 haben sie Mirco verloren. Doch erst nach 145 Tagen hatten sie endgültig die traurige Gewissheit, dass er tot ist. Da wurde der Mörder gefasst und Mircos Leiche gefunden. Ich werde hier nicht über die Einzelheiten dieses Verbrechens berichten. Wer möchte, kann das alles in dem Buch „Mirco” nachlesen. Mich hat es so sehr beeindruckt und berührt, dass ich es in einem Zug durchgelesen habe.
In dieser Predigt geht es mir vor allem um den Glauben der Eltern und darum, wie er sie getragen hat und noch immer trägt. Beide sind Mitglied einer evangelischen Freikirche und seit Kindertagen gläubig. Ich werde im Folgenden hauptsächlich Sandra und Reinhard Schlitter selbst zu Wort kommen lassen. Sie schreiben:
»Wenn dieser ganze Irrsinn von Mircos Tod doch noch irgendeinen Sinn haben sollte, dann vielleicht diesen: Dass wir davon erzählen, wie das Leben nach einem solchen Schlag weitergehen kann; dass wir unsere Erfahrungen weitergeben, die anderen Menschen vielleicht ein Licht in dunklen Stunden sein können. Dass bei allem Unbegreiflichen, was uns im Leben widerfährt, noch Platz ist zur Hoffnung und Vergebung. Und dass wir nicht an der Frage zerbrochen sind, warum Gott so etwas zulässt, sondern von ihm durch diese ganze Zeit getragen worden sind.«
Nachdem klar war, dass ihr Sohn einem Verbrechen zum Opfer gefallen war, waren es drei Dinge, die dem Ehepaar Schlitter halfen, Schock und Sprachlosigkeit überwinden:
Zum einen haben sie bereitwillig und intensiv mit der Polizei zusammengearbeitet. Reinhard Schlitter sagt: »Neben den Beamten des Opferschutzes haben uns die Leute von der Sonderkommission Mirco tief beeindruckt und geholfen: Durch ihre Professionalität, ihren unermüdlichen Einsatz, ihr Mitgefühl und die manchmal gnadenlose, aber doch wohltuende Offenheit ihrer Mitteilungen. So sagte der leitende Kommissar zu uns: „Ich bringe Ihnen Ihr Kind zurück. Ich kann Ihnen nur keine Hoffnung machen, dass Mirco noch lebt.” Gerade diese schonungslose Offenheit war der Schlüssel für uns, dem Kommenden vorbereitet ins Auge zu sehen und unsere Energie nicht auf illusionäre Rettungsfantasien zu verschwenden. So brutal sie war: Die Wahrheit war für uns die beste Chance, das Geschehene zu begreifen.«
Das zweite, was den Schlitters geholfen hat, war, dass sie sich ganz bewusst einander zugewandt haben. Sie haben sich versprochen, einander keine Vorwürfe zu machen, sich gegenseitig keine Schuld zuzuschieben. Sie waren von Anfang an bereit, sich jedes mögliche Versäumnis zu vergeben. So haben sie Seite an Seite die Katastrophe durchschritten, haben sich gegenseitig gestützt und unterstützt, haben das Eheversprechen eingelöst, in guten wie in bösen Tagen füreinander einzustehen. Viele Ehen und Familien zerbrechen in einer solchen Katastrophe auch, weil sich jeder in die Einsamkeit seiner Verzweiflung zurückzieht und in Selbstvorwürfen wie in Vorwürfen gegenüber dem andern ertrinkt. Sandra und Reinhard Schlitter wussten, dass das einsame Grübeln nur in eine Abwärtsspirale führt, aus der es kein Entrinnen gibt. Auch blieben sie offen und gesprächsbereit für ihre Kinder, die eigenen Eltern und nahestehende Freunde. Und sie machten sich immer wieder klar: Was geschehen ist, ist geschehen. Wir können es nicht mehr ändern. Aus und vorbei.
Das Wichtigste aber, das ihnen half, die Katastrophe zu überleben, war ihr Glaube und dabei vor allem das Gebet. Sie beteten allein, jeder für sich. Sie beteten als Ehepaar miteinander. Sie beteten mit ihren Kindern. Und regelmäßig an den Abenden dieser schweren Zeit mit einem kleinen Kreis von Menschen, die ihnen besonders nahe standen. D.h. sie redeten nicht nur mit anderen Menschen, sondern waren auch mit Gott in einem intensiven Gespräch.
Sandra Schlitter sagt: »Was uns von Anfang an Halt gegeben hat, war das Vertrauen auf Gott: „Herr, wir wissen, du wirst uns helfen, egal, was passiert ist. Du wirst uns beistehen.” Ich hatte das Grundvertrauen: Gott ist da! Er weiß, wo wir sind. Er weiß, wie wir fühlen. Wir sind nicht allein.«
Und dann haben die beiden auch gespürt, wie sie vom Gebet so vieler Menschen um sie herum getragen wurden wie von einer Welle. Sandra sagt: »Das ist eine Kraft, die man zum Überleben braucht, wenn die Verzweiflung jeden Morgen neu an die Haustür klopft. Diese Kraft haben wir noch nie so gefühlt wie in diesen Tagen.« Und ihr Mann Reinhard ergänzt: »Wir sind fest davon überzeugt, dass kein Gebet wirkungslos ist. Gott hört alle Bitten, Anliegen und Wünsche, die an ihn herangetragen werden. Wenn er auch oftmals nicht so darauf antwortet, wie wir es gern gehabt hätten – er reagiert immer. Und kein Wort, das an ihn gerichtet wird, geht einfach verloren oder verpufft im All. Zu wem sonst hätten wir gehen sollen, der nicht ebenso hilf- und ratlos gewesen wäre wie wir selbst?«
Aber die beiden haben, wie gesagt, nicht allein gebetet. In ganz Deutschland, ja weltweit haben Menschen an ihrem Schicksal Anteil genommen. Eine Nachbarin sagte zu ihrer konfessionslosen Bekannten: „Du könntest jetzt endlich auch mal für Mirco beten.” Am nächsten Tag rief die Bekannte die Nachbarin an: „Du, ich hab's wirklich getan, nach vielen Jahren hab ich zum ersten Mal wieder gebetet.”
Auch die vielen kleinen Gesten der Nächstenliebe, die die Familie in dieser Zeit bekommen hat, haben ihr gut getan: Das Verständnis der Arbeitgeber, dass die Eltern auf unbestimmte Zeit nicht zur Arbeit gehen konnten, die Hilfe für die Kinder von Seiten der Schule, die vielen Hilfsangebote von allen Seiten.
Zum Weiterleben geholfen hat auch die Rückkehr in den Alltag. Die Mutter sagt: »Es ist die Kraft der Routine und der Beschäftigung, die uns in der absoluten psychischen Ausnahmesituation auf den Beinen gehalten hat. Nach meiner Erfahrung sollten in solchen Zeiten Bügelbretter von der Krankenkasse bezahlt werden. So etwas kann hilfreicher sein als die tollste Psychopille.«
Doch zum Glauben, der die Schlitters getragen hat und trägt, gehört auch die Bereitschaft, dem Mörder ihres Kindes, einem 45-jährigen Familienvater aus dem Nachbardorf,  zu vergeben. In einem Zeitungsinterview sagte der Reporter: »Der Täter hat nicht nur Ihr Kind getötet. Er hat auch Ihren Fernsehappell ignoriert, in dem Sie ihn baten, mitzuteilen, wo sie Mirco finden können. Selbst vor Gericht hat er zu seiner Tat geschwiegen, obwohl Sie sich wünschten, er möge Licht ins Dunkel bringen. Viele Menschen würden urteilen, dieser Mann habe keine Vergebung verdient.«
Darauf antwortete Reinhard Schlitter: »Wenn ich allein meiner Natur als Mensch folgte, könnte ich nur fordern, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Aber den Mörder zu töten gibt mir keinen Frieden; ihm zu vergeben dagegen schon. Ob er über die Gefängnisstrafe hinaus einst zur Rechenschaft gezogen wird, das überlasse ich Gott. Er kann als Einziger den Wert eines Menschen beurteilen. Es befreit ungemein, diese Entscheidung an Gott abzugeben.«
Und seine Frau Sandra sagt zum selben Thema: »Wir wollen den Wahnsinn der Tat nicht noch dadurch belohnen, dass wir in die Gefahr geraten, uns zu vergessen und Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Wir wollen unsere Herzen nicht von diesen negativen Gefühlen vergiften lassen. Wir wollen nicht, dass das Böse in uns noch einmal triumphiert. Deshalb haben wir den Täter ganz bewusst vergeben. Wir tun ihm nicht den Gefallen, den er offensichtlich in seinem Innersten ersehnt, ihn zu verdammen. Nein, er ist ein belasteter Mensch, der nicht wusste, wohin mit seiner Last. Wir dagegen wissen das, und wir beten für ihn, dass auch er das erkennt und zu sich kommt.«
Und schließlich stellte sich auch den Eltern die Frage, warum Gott dieses Verbrechen zugelassen hatte. Klar und deutlich sagt die Mutter: Nicht Gott ist dafür verantwortlich, sondern jeder Mensch »trägt die Verantwortung für sein Leben und für seine Entscheidungen selbst.«. Und sie fährt fort. »Keine bohrende Frage nach dem Warum und keine Antwort darauf kann uns letztlich über Mircos Verlust hinweghelfen. Wir haben immer nur die Gegenwart, den Moment, das Jetzt, das wir gestalten können. Und das wollen wir nicht in Trauer und Hass leben, auch nicht ständig rückwärtsgewandt, sondern jetzt, in diesem Augenblick das Leben feiern mit all dem Guten, dass wir noch haben – und das ist viel. Das Gute macht das Leben lebenswert – auch wenn der Schmerz über Mirco immer bleiben wird.« Und schließlich sagt sie: »Ich lasse zu, dass ich das, was passiert ist, einfach annehme. Ich will in tiefster Überzeugung sagen können: Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Der Gedanke, dass es Mirco bei Gott besser geht als je zuvor … gibt uns mehr Trost als man in Worte fassen kann. Und natürlich die Aussicht, dass wir ihn dort wieder sehen werden.«
Nachdem die Schlitters zu einem Gespräch bei Beckmann im Fernsehen waren, haben viele Zuschauer sie wissen lassen, dass sie ermutigt worden sind von ihrem Willen, trotz dieser schrecklichen Tat weiter positiv zu denken, ermutigt vom Bestreben, ihr Leben weiterhin in die Hand zu nehmen ohne in Depression zu versinken, ermutigt von ihrer Überzeugung, auf Rachegedanken zu verzichten. Reinhard Schlitter sagt dazu: »Wenn diese Menschen im Fernsehen genau zugehört haben, haben sie mitbekommen, dass wir das nicht aus eigener Kraft zu angepackt haben. Es ist die Kraft unseres Gottes, die das möglich macht. In der Bibel wird uns zugesagt: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.”
Ja, liebe Freunde, der Glaube trägt. Viele hier können das aus eigener Erfahrung bestätigen. Aber wenn eine große Katastrophe eintritt, geraten wir doch ins Wanken. Da ist es dann gut, wenn wir uns erinnern, wie andere Menschen in einer ähnlichen Situation reagiert haben, wie sie gekämpft, gebetet und geglaubt haben so, wie es in einem alten Lied heißt:  „Wenn alles bricht, Gott verlässt uns nicht, größer als der Helfer ist die Not ja nicht.” 
Amen

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen